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Rainer Behrends

Einführung zur Ausstellung von Markus Gläser am 15.Oktober 2010 in der Westarkade des Gohliser Schlößchens unter dem Titel "Schgulbdurhn"

Auch wenn die zu eröffnende Ausstellung den Titel "Schgulbdurhn" trägt, Skulpturen werden Sie nicht zu sehen bekommen, vielmehr Plastiken, denn die gezeigten Werke sind keineswegs durch Abtragen festen Materials entstandene Skulpturen – lateinisch sculpó bezeichnet meißeln oder schnitzen, also wegnehmen und deshalb gehört der Skalp auch dazu – vielmehr dank des allmählichen Formens der Gestalt durch Antragen oder Aufbauen aus bildsam weichen Materialien – Ton oder Gips -, wahrscheinlich allen noch bekannt ist die Modelliermasse Plastilina...modelliert sind alle Arbeiten in dieser Ausstellung. Am Rande will ich anmerken, dass der Entstehung von Skulpturen in aller Regel ein plastisches Modell voraufgeht. Auch wenn die Ausstellung „Schgulbdurhn“ heißt, handelt es sich keineswegs um ein folkloristisches Unternehmen zur Pflege sächsischer Kultur.

Beginnen wir mit einem Zitat: „Ein Kunstwerk muss seine eigene Lebendigkeit haben..., [ein] intensives Leben aus sich selbst... Der Bildhauer muss sich dauernd bemühen, an die Form und ihre Verwendung in ihrer räumlichen Vollständigkeit, zu denken. Er hat gleichsam die Gestalt in seinem Kopf“. Das ist keine Sentenz von Markus Gläser, es handelt sich um eine Äußerung von Henry Moore...

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(Manuskript)
Rainer Behrends
Einführung zur Ausstellung von Markus Gläser am 15.Oktober 2010 in der Westarkade des Gohliser Schlößchens unter dem Titel "Schgulbdurhn"

Auch wenn die zu eröffnende Ausstellung den Titel "Schgulbdurhn" trägt, Skulpturen werden Sie nicht zu sehen bekommen, vielmehr Plastiken, denn die gezeigten Werke sind keineswegs durch Abtragen festen Materials entstandene Skulpturen – lateinisch sculpó bezeichnet meißeln oder schnitzen, also wegnehmen und deshalb gehört der Skalp auch dazu – vielmehr dank des allmählichen Formens der Gestalt durch Antragen oder Aufbauen aus bildsam weichen Materialien – Ton oder Gips -, wahrscheinlich allen noch bekannt ist die Modelliermasse Plastilina...modelliert sind alle Arbeiten in dieser Ausstellung. Am Rande will ich anmerken, dass der Entstehung von Skulpturen in aller Regel ein plastisches Modell voraufgeht.
Auch wenn die Ausstellung "Schgulbdurhn" heißt, handelt es sich keineswegs um ein folkloristisches Unternehmen zur Pflege sächsischer Kultur.

Beginnen wir mit einem Zitat: "Ein Kunstwerk muss seine eigene Lebendigkeit haben..., [ein] intensives Leben aus sich selbst... Der Bildhauer muss sich dauernd bemühen, an die Form und ihre Verwendung in ihrer räumlichen Vollständigkeit, zu denken. Er hat gleichsam die Gestalt in seinem Kopf". Das ist keine Sentenz von Markus Gläser, es handelt sich um eine Äußerung von Henry Moore.
"Eigene Lebendigkeit" und "intensives Leben aus sich selbst", das sind durchaus bildnerische Maximen für Markus Gläser und sein Schaffen. Dessen Zentrum bildet die figürliche Gestaltung, die Formung von Menschen wie Tieren. Insofern ist er ein in Traditionen fest verwurzelter Künstler zu nennen. Geboren 1960 in Leipzig; einer Lehre als Former und Gießer mit Facharbeiterabschluss und Abitur folgte von 1981 - 1988 das Studium der Bildhauerei / Plastik in Halle an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein bei Professor Bernd Göbel. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist er freischaffend in eigener Werkstatt in Gohlis tätig. Als Absolvent der halleschen Kunstschule Burg Giebichenstein ist er deren bildnerischen Traditionen in der Plastik verbunden, für die Namen wie Gerhard Marcks, Gustav Weidanz oder Gerhard Lichtenfeld als Repräsentanten einer dem Menschenbild verpflichteten realistischen Formensprache stehen. Zudem ist er Schüler von Bernd Göbel, einem Bildner praller Körperaktionen in nachgerade barocker Formensprache voll deftiger Formulierungen und hintergründigem Witz. Sein einstiger Student steht ihm hinsichtlich des Witzes vieler seiner plastischen Formulierungen oder der prallen Körperlichkeit seiner Figuren keineswegs nach, auch nicht hinsichtlicher skurriler Elemente - was eigenartigerweise ausschließlich die männlichen Gestalten betrifft, nicht aber die weiblichen, deren Ideal für ihn offensichtlich mädchenhaft schlank und beweglich ist.
"Ideen, Entwürfe, Modelle,... (und) Ausführung in Ton, Holz, Naturstein, Beton, Steinguß, freier Antragung, Bronzeguß”, benennt Markus Gläser sein Leistungsangebot als Bildhauer und Plastiker und bezeichnet als seine Arbeitsgebiete: "Figuren, Porträts, Reliefs, Brunnen, Denkmale, Medaillen, Ornamente, Schriften.” Darüber hinaus ist er als gefragter Restaurator tätig und bekannt als ein Gestalter, der verlorene Bildwerke nachschaffend wieder erstehen läßt. Die beiden letztgenannten Arbeitsgebiete stellen Herausforderungen besonderer Art dar, denn sie fordern vom Gestalter das Zurückhalten eigener Formvorstellungen bis hin zu deren Verleugnung, andererseits auch ein außerordentliches Einfühlungsvermögen, soll das Ergebnis nicht rein mechanisch und handwerklich ausfallen – eine Rekonstruktion ist heute mit moderner Rechentechnik und Maschineneinsatz nicht nur möglich, sondern vielerorts als vorgebliche Nachbildung verlorener Bildwerke anzutreffen, jedoch quasi unbelebt. Die Fähigkeit des sich Versenkens in fremde bildnerische Strukturen läßt Markus Gläser zu einem erfolgreichen Nachschöpfer verlorener Plastiken und Skulpturen werden, wovon jedermann sich in Leipzig vielerorts überzeugen kann, nicht zuletzt hier im Gohliser Schlößchen. Als jüngere Arbeiten seien die allegorische Gruppe um das große Siegel der Universität auf der Attika der 1891 eröffneten Universitätsbibliothek genannt, die den Namen "Bibliotheca Albertina" erhielt und den Bezug zum Herrscherhaus nachgerade martialisch in der Attikagruppe demonstriert - ein Auftrag zur Ergänzung und Vervollständigung der erhaltenen Originalsubstanz, und gegensätzlich dazu die völlige Neuschöpfung der verlorenen beiden Figuren Ernst Rietschels auf dem "Schinkeltor" anhand unzureichender Fotografien.
In der Ausstellung aber werden ausnahmslos "freie" Arbeiten des Künstlers gezeigt, also solche, die nicht Restaurierung, Ergänzung, Nachschaffen oder eigenes Gestalten im fremden Auftrag als Auslöser haben, wobei letztere Aufgabe selbstverständlich den ganzen Künstler Gläser erfordert, denn es sollen Arbeiten entstehen, die ihn als Schöpfer repräsentieren. Als jüngstes solcherart Werk sei auf die unterlebensgroße Statue der Hl. Mechthild von Hackeborn, einer Mystikerin vom Ende des 13.Jahrhunderts, für das Malteserstift St. Mechthild in Eutritzsch hingewiesen.
In den hier vorgestellten Arbeiten – Plastiken wie Zeichnungen – bedarf es keiner Rücksichtnahme, weder auf fremde Handschriften noch auf Wünsche oder Vorstellungen von Auftraggebern – , hier ist er selbst, der bildend sich entäußert, hier gibt er "seinem Affen Zucker”, lebt bildnerisch aus, was ihn zu den Themen Mann und Frau antreibt und einfällt, zu Motiven wie Apfel, Faß oder Wanne, Flügel oder Lorbeerkranz. In den Arbeiten geht es ihm um Saturiertheit, Selbstverliebheit, Übersättigung, um autoritäres Auftrumpfen, männliches Anspruchsbeharren, auch um weibliches Selbstbestimmtsein. Und das alles in oft skurriler Formulierung.
Für Markus Gläser sind Gegenstände und die sie verkörpernden Inhalte Anstoß und Antrieb seines Schaffens. Er ist ein Künstler, der auf Pointen hinarbeitet und Figuren schafft, die Geschichten erzählen, oft solche drastischer Art. Zudem ein Plastiker, den eine nachgerade barocke Lust antreibt, Gestalten von handgreiflichem Leben zu modellieren, grazil und anmutig hinsichtlich des weiblichen Geschlechts, jedoch lebensprall, wohlbeleibt und machtvoll in der prunkenden Pracht der Bäuche bei den Männern.
Insofern ist die gegenwärtige Ausstellung eine Fortsetzung und Erweiterung jener vom Frühling 2001 am selben Ort – mit einem feinen Unterschied. Vor neun Jahren brachten es Umstände mit sich, daß ein stellvertretender Laudator auftreten mußte, da der Verfasser der Rede – nämlich ich - nicht anwesend sein konnte. Heute nun, sie sehen und hören es, ist das anders, in der richtigen Ordnung und es ist gut so.

Da sind sie nun wieder die barocken Volumina der Männer mit ihren mächtigen Bäuchen, den Häuptern, die halslos mit dem Körper verfließen, mit ihrem sich überhebenden Selbstbewußtsein, dem sich eingerichtet wissen in den gegebenen Umständen, in ihrer offensichtlichen Zufriedenheit und Selbstgewißheit, die aber letztlich nur äußerlich ist und Hilflosigkeit nicht zu verbergen vermag. Vor einem Jahrzehnt demonstriert im Zusammenspiel von Musikinstrumenten wie Tröte oder Trompete, Tuba oder Bass und satirisch überhöht mit nackter Männlichkeit demonstriert, bilden heute Überlegungen zum Verhältnis der Geschlechter, zu Aktivität oder passivem Geschehenlassen den gedanklichen Umkreis des Gestalteten.
In Erinnerung kommt jene Redensart, die William Shakespeare dem Kaiser Nero in seinem gleichnamigen Stück in den Mund legte:"Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein, mit glatten Köpfen, die nachts gut schlafen". Galten doch einst, vielleicht heute auch noch ?, dicke Männer als freundlich, vertrauenserweckend und gemütlich, galt eine gewisse Beleibtheit als Zeichen des Erfolgs. Dicksein ist andererseits auch ein Sinnbild für Angeber, Aufschneider und Prahler. Im Gegensatz hingegen sind die Hageren und Bleichen solche, vor denen zumindest Cäsar sich fürchete, wie Plutarch behauptet.
Für Markus Gläser wird männliche Wohlbeleibtheit zum Anlass lustvoll betonter lebendiger Formen, als ein Element der Lebenszugewandtheit, vielleicht auch als Gegenbild zum überstrapazierten Männlichkeitstyp der Werbung und der Medien, einfach als ein Stück Lebenswahrheit. So wie er die Frau eben eher - und vielleicht auch lieber – jugendlich sieht.
Wiederholt taucht ein Apfel in den Plastiken auf, ein janusartiges Symbol, bereits dem Namen nach, denn lateinisch stehen málum = Apfel und malum = Gefahr, Unglück,Laster unmittelbar nebeneinander. Geschätzt wegen seiner Süße, Sinnbild auch generell des Weiblichen, mittig geteilt wird der Apfel zum Abbild der weiblichen Brüste und ebenso der Vulva, steht zugleich für Verführung schlechthin, stammt er doch vom Baum der Erkenntnis des Guten wie des Bösen im Paradiese, mit ihm kam die Versuchung und der Verlust eben des Friedens und des Umsorgseins im Paradiese, nie endender Alimentation und Freisein von Verantwortung. Sprichwörtlich ist er ebenso der Zankapfel, auch wenn er golden sein sollte. Unter die Götter geworfen, ward er Anlaß für den Streit dreier Göttinnen um den Ruhm der Schönsten von ihnen, weiter Anlaß zur Entführung der Helena und letztendlich Auslöser des Trojanischen Krieges. Andererseits ist der Apfel ein Sinnbild für Liebeswerbung und ewiger Jugend, Glücksverheißung. Vor allem deshalb erscheint er wiederholt unter den Statuetten Markus Gläsers, hält ihn ein Sitzender glücksverzückt im Schoße oder drückt ihn ein Anderer schützend vor die Brust.
Die Ambivalenz des Weiblichen und des Männlichen wird sichtbar in der Gruppe des durch eine Mauer getrennten Paares. Sie umschleichen sich, wollen unsichtbar bleiben, obgleich sie sich suchen und begehren. Die Frau verlockt zunächst mit dem Duft des Apfels und erst später wird sie Blick und Schritt um die Ecke herum riskieren, während der Mann seinerseits zuerst wortwörtlich Fühlung aufzunehmen versucht und nach jenem, auch an eine Frucht erinnernden Körperteil, tastend zu greifen versucht, während er Körper und Antlitz scheinbar demonstrativ abwendet. "Versuchung" hier weder antik noch biblisch, vielmehr als allgemeinmenschliches Sinnbild, gebunden weder an Ort noch Zeit noch Lebensalter. Ein Apfel auch als Spielball, der übermütig von sich geworfen, Gefahr läuft, aufgespießt, d.h. zerstört zu werden. Eben: málum und malum in Einem.
Ein anderes Motiv heißt Zufriedenheit. So sitzt die Frau träumerisch versunken im Waschzuber, sozusagen gänzlich in sich selbst gehüllt und weltvergessen. Der Mann hingegen ruht lässig und äußerst selbstzufrieden in einer Sitzbadewanne, die man sich ebenso antikisch und marmorn vorstellen kann, ebenso sich einen bequemen Lehnsessel vorstellen darf. Auch er träumt geschlossenen Auges ganz entspannt, die Bürste in der Linken ist mit dieser zu Boden gesunken. Sein Traum spiegelt ihm seinen Besitz, wohlverwahrt im Sack, darauf seine Füße ruhen. Äußeres Besitzkennzeichen sind das Namensschild am Gefäß und das eigene Bildnis als Medaillon an der Rückseite. Weil Sicherheit dringend der Sicherung bedarf, immer und zu jeder Zeit, ließ er aus Vorsicht eine Ringhalterung anbringen, damit in stürmischen Zeiten ein Halt zu gewinnen ist.
Anders jenes Quintett, das sich in einem Faß zusammendrängt. Mit ihm als Gefährt wollen sie sich auf Abenteuer übers Meer begeben. Dazu haben sie allen ihren Besitz mit sich genommen und ihr Spielzeug ebenso. Mit Ruder, Haltetau und Rettungsring wollen sie Vorsorge treffen. Einen unter ihnen haben sie zum Führer ernannt und zum Zeichen eine Armbinde gegeben. Nur können sie sich in der Enge nicht bewegen, sie sind derart aneinander gequetscht, dass Probleme unausweichlich scheinen und der Ausbruch von Streit bis Gewalt nur eine Frage der Zeit. Tiere als Sinnbilder, hier Schwan und Hund, weisen auf Treue wie Gefahr hin, in anderen Arbeiten auch der Rabe, der einst weiß war und dann wegen seiner Unverläßlichkeit und Schwatzhaftigkeit auf Apollons Befehl schwarz gefiedert wurde und seither ständig seinen Namen rufen muß, auf griechisch nämlich "corax" – cras, crah, crah – Gefahr verkündend, dazu Spechte, Eulen und anderes Gevögel.
Eine der Plastik quasi zugehörige Zeichnung führt das Motiv des Führers mit Armbinde, Schirmmütze und Wimpel noch deutlicher aus, obwohl die anderen Teilnehmer der "Ausfahrt" im schüsselähnlichen Gefährt die Sache wohl eher als Spiel ansehen, sie angeln oder haben ein Schiffchen zu Wasser gelassen. Deutlicher als in der Plastik formuliert die Zeichnung eine disparat zusammengesetzte Gruppe unterschiedlicher Interessen, einig nur im Ziel einer Besitznahme.
Den Sieg, den sie möglicherweise anstreben, hat ein Anderer bereits errungen. Er trägt schwer an ihm. Der dicke Lorbeerkranz rutschte ihm von den schmalen Schultern, hängt nun gleich einem Rettungsring tief unterm Bauch. Weiter abgleiten, gänzlich abrutschen und zu Boden fallen, was hieße, den Sieg zu verlieren, kann er nicht, denn hinter ihm kauert zu seinen Füßen die Frau. Sie trägt die Last des Kranzes auf ihrer Schulter und ermöglicht so die sieghafte Pose des Mannes. Andererseits kann der Betrachter darüber grübeln, ob der Mann seinen Kranz nicht nur festhält, sondern zugleich mit der anderen Hand versucht, ihn abzustreifen. Denn: Ehrungen drücken schwer, bringen Verpflichtungen mit sich und sprengen nicht selten Bindungen, sie können eine Bürde sein, menschlich, gesellschaftlich, geistig wie körperlich. Auch das kommt in den Sinn: Hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine Frau – und die bleibt unsichtbar im Hintergrund.
Die Weiblichkeit jedoch kann sich im Laufe eines Lebens von einer "süßen", spielerisch auf den Händen getragenen, in eine "schwere" Last verwandeln, vom Mann schwer niederdrückend zu tragen, als Last, die er abzuschütteln trachtet, deren Abwurf er plant und dann den letzten Schritt dann doch nicht tut, den in den Abgrund nämlich. Vielleicht kann so eine Zeichnungsfolge gelesen werden.
Ein uralter Traum der Menschen ist das Streben nach selbsttätigem Fliegen und sich gleich den Vögeln der Erdenschwere zu entheben. Oder als Rettungsversuch, wer denkt nicht an die Parabel von Dädalus und Ikarus und an dessen Schicksal , ein Motiv der Selbstüberhebung, so in der bildenden Kunst wie auch in der Parabel Brechts vom "Schneider von Ulm": "Pass auf, wie ichs mach`! (sagte der Schneider zum Bischof)./ Und er stieg mit so ´nen Dingen,/ Die aussahn wie Schwingen / Auf das große, große Kirchendach." Aber: "Seine Flügel sind zerspellet / Und er lag zerschellet / Auf dem harten, harten Kirchenplatz... Der Mensch ist kein Vogel / Es wird nie ein Mensch fliegen, / Sagte der Bischof den Leuten. "Von Brecht in das späte 16.Jahrhundert versetzt, versuchte Albrecht Berblinger am 30.Mai 1811 in Ulm mit selbstgebauten "Fluggleitern", die er dem Eulenflug nachgebildet hatte, sich zu erheben, stürzte aber in die Donau. An Nachbauten konnte später bewiesen werden, dass sein Modell tatsächlich flugfähig gewesen ist – warum er dennoch scheiterte, ist ungeklärt.
Die Flugapparate "Modell Gläser" sind schwere Schwingen dichten Gefieders. Übermenschliche Kräfte wären nötig, sie zu bewegen und noch weitaus größere, um mit ihrer Hilfe einen Menschen in die Luft zu bringen und zu halten. So träumen seine Gestalten weiterhin "Vom Fliegen" und sind verliebt in diesen Traum, sehen sich schweben und rechtzeitig vor tiefem Sturz bewahrt. Doch: Menschen sind keine Engel, auch wenn es sie weniger kopulent wären. Aber: Engelsgleich können Menschen anderen Menschen hilfreich sein und sie im Alltag stützen.
Alles andere wäre Narretei. Und dazu neigen die Menschen nun einmal, merken nicht, dass sie aneinandergedrängt in einem Boot sitzen und einem gemeinsamen Schicksal entgegenfahren. Sie sind freudenvoll, traumversunken, verwundert, verlockt, auch scheint, es wäre Nacht, die Eule wacht, der Specht hämmert Aufmerksamkeit einfordernd, Raben kommen herbei. Fast möchte man meinen, sie alle trügen Masken, merkten es nicht und wären gar nicht sie selbst. Ob die Männer aber Gäuche sind, Liebesnarren nämlich, eine Bezeichnung abgeleitet von gouch, gleich guckguck, und ob Liebesbuhlen wahrhaftig die verbreitetste Form der Narretei ist – das alles bleibt ungewis. Sicher aber ist, dass Liebe auch zur Narrheit führen kann und nicht nur den Mann.
Summa summarum: Nicht denken, "wir narren sein allein / Wir haben noch Brüder groß und klein / In allen Landen überall / ohn End ist unser Zahl" – reimte bereits 1494 Sebastian Brant in seinem "Narrenschiff" und seither fahren sie immer noch und immer wieder "Gaudeamus" singend "gen Narragonien" ins Schlaraffenland, in den Erdteil der Schluraffen, der Faulen und Bequemen, nach Nirgendwohin und ihrer ist kein Ende,niemals.
Nun aber Schluß der Deutelei. Zum Ende noch eine sachliche Anmerkung: Das vom Künstler für die Plastiken zum Abformen der in Ton geschaffenen Modelle verwendete Material ist eine Art Polymergips, eine mehrkomponente Spezialmasse, gallerartigen Charakters, die längere Zeit formbar bleibt, ehe sie aushärtet. Ihr eignet nicht der kühle, abstrakte Charakter des Gipses mit seiner kalten, unpersönlichen Anmutung. Solcherart hergestellte Werke besitzen eine wärmer wirkende Oberfläche, auch einen leichten Glanz, sind weniger bruchgefährdet und wohl auch witterungsbeständig.
Die "eigene Lebendigkeit", von der im Zitat eingangs die Rede war, bezieht sich vor allem darauf, dass Markus Gläser sich als Bildner zutiefst der menschlichen Gestalt verpflichtet weiß, sie als Maßstab und Ziel seines Schaffens betrachtet und damit den Kontakt zum Betrachter herstellt, denn dieser vermag sich in seinen Schöpfungen quasi spiegelbildlich selber zu erkennen.
"Meiner Auffassung nach ist das lange und gründliche Studium der menschlichen Figur die notwendige Grundlage des Bildhauers. Die menschliche Gestalt ist überaus vielgestaltig und subtil, es ist schwierig, sie in den Griff und Konstruktion zu bringen - ...Eine mäßige Begabung wird einem Baum oder einer Landschaft ein Formmuster einbilden können – aber sogar das ungeübte Auge ist kritischer, sobald es um die menschliche Gestalt geht – denn diese ist unsere eigene." Nicht von Markus Gläser stammt diese letzte Aussage, formuliert hat sie wiederum Henry Moore. Sie könnte aber auch von ihm stammen.
© Rainer Behrends, Oktober 2010